Ein artikel vom NS-DOK

Seit 1990 sind mehr als 200 Menschen in Deutschland durch rechte Gewalt getötet worden.

Wie viele Menschen seit 1990 in Deutschland tatsächlich durch rechte Gewalt getötet wurden, ist umstritten.

Das Bundeskriminalamt zählte bis 2020 insgesamt 113 Todesopfer[1]; nach Recherchen von NGOs und Opferinitiativen sind es deutlich über 200.[2] Der Grund für diese unterschiedlichen Zahlen liegt in den verschiedenen Erfassungs- und Bewertungskriterien. Die Amadeu Antonio Stiftung kritisiert an den behördlichen Angaben, dass Perspektiven der Opfer bzw. der Angehörigen für eine realitätsgetreuere Einschätzung der Gesamtlage nicht berücksichtigt würden. So würden Taten nicht erfasst, in denen ein sozialdarwinistisches (der Idee des Rechts des Stärkeren folgend) oder rassistisches Motiv eine begleitende Rolle spielten. Damit steige die Wahrscheinlichkeit, dass Taten von nicht-organisierten Rechten oder „Alltagsrassisten aus der Mitte der Gesellschaft“ nicht als rechtes Tötungsdelikt gewertet würden.[3]

Diese Problematik lässt sich auch an Kölner Beispielen verdeutlichen. Bei einem Brandanschlag auf eine städtische Notunterkunft in Köln-Gremberg wurden im Januar 1994 Angehörige einer Roma-Familie teilweise lebensgefährlich verletzt. Die 11-jährige Jasminka und ihre Großtante Raina starben an den Folgen ihrer erlittenen Verbrennungen.[4] Trotz deutlicher Indizien auf einen möglicherweise rassistischen und antiziganistischen Hintergrund schloss die Polizei bereits einen Tag nach dem Anschlag ein „fremdenfeindliches“ Motiv aus. Ein Täter konnte nicht gefasst werden; auch nach nochmaliger Überprüfung des Falls sind die Überlebenden nicht als Opfer rechter Gewalt anerkannt.[5]

Auch Attila Ö. taucht in den offiziellen Statistiken nicht auf. Er starb 2017 – nach Angaben seiner Witwe eindeutig an den Spätfolgen eines rechtsextremen Attentats in Köln-Mülheim.[6] Am 9. Juni 2004 explodierte in der Keupstraße, einem Zentrum des (post-)migrantischen Geschäftslebens, eine Nagelbombe. Dabei wurden zahlreiche Menschen verletzt, einige davon schwer, viele Geschäfte wurden beschädigt. Die Hintergründe wurden zunächst im „migrantischen Milieu“ vermutet. So wurden die Opfer zu Tätern gemacht.[7]

Schon dreieinhalb Jahre zuvor, am 19. Januar 2001, war im Laden einer iranischstämmigen Familie in der Kölner Probsteigasse eine Bombe explodiert. Die damals 19-jährige Tochter überlebte den Anschlag nur schwerverletzt. Das Geschäft wurde völlig zerstört.

Beide Anschläge waren Teil der Mord- und Anschlagsserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU), der aus rassistischer Motivation deutschlandweit mehrere Bombenanschläge verübte und Menschen mit internationaler Familiengeschichte ermordete. Mindestens zehn Personen fielen diesem neonazistischen Netzwerk in den Jahren von 2000 bis 2007 zum Opfer. Unterschiedliche Initiativen, Organisationen und Einrichtungen gedenken jedes Jahr der rassistisch motivierten Attentate und ihrer Folgen. Das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln (NS-DOK) begleitet zusammen mit den Betroffenen und Menschen aus der Zivilgesellschaft den Weg zur Errichtung eines Denkmals, das an die NSU-Anschläge in Köln erinnert. Der Entwurf von Ulf Aminde wurde Ende 2016 von einer Jury einstimmig zum Sieger eines Wettbewerbs gekürt. Das Denkmal soll an der Ecke Schanzenstraße/Keupstraße entstehen.[8]

Das von Jugendlichen gemalte Bild an der Keupstraße ist ein vom AaK Jugendladen Mülheim initiiertes Interims-Denkmal. Es wurde in Kooperation mit dem Gymnasium Holweide und dem NS-DOK am 9. Juni 2023 renoviert.
© Camilo Aguilar Bravo und/oder SayTheirNames: #saytheirnames ‚ Kein Veedel für Rassismus (keinveedelfuerrassismus.de)

Zum Weiterlesen: Rassismuskritische und diversitätssensible Arbeit & verband-brg.de
Über Uns: museenkoeln.de | NS Dokumentationszentrum der Stadt Köln

Fußnoten

[1] Jansen, Frank: Mindestens 113 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990. In: Tagesspiegel, 2.02.2022. Online unter: https://www.tagesspiegel.de/politik/polizei-wertet-vierfach-mord-in-brandenburg-als-rechtes-totungsdelikt-5420398.html. Zugriff: 16.03.2024

[2] Speit, Andreas: Rechtsextreme Gewalt in Deutschland, 2.2.2001. Online unter: https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/324634/rechtsextreme-gewalt-in-deutschland/. Zugriff: 16.03.2024[

3]
Brausam, Anna: Todesopfer rechter Gewalt. Diskrepanz bleibt weiter bestehen. Online unter: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/rassismus/todesopfer-rechter-gewalt/. Zugriff: 16.03.2024

[4] Kleffner, Heike: Brennender Hass. In: zeit-online, 17.10.2018. Online unter: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-10/gewalt-roma-rassismus-antiziganismus-brandanschlag-koeln-gremberg-1994. Zugriff: 16.03.2024

[5] Überlebende und Hinterbliebene rechter Todesfälle werden bei der Bewältigung der Tatfolgen alleine gelassen. Pressemitteilung der Opferberatung Rheinland, 6.12.2023. Online unter: https://www.opferberatung-rheinland.de/aktuelles/detail/pressemitteilung-ueberlebende-und-hinterbliebene-rechter-todesfaelle-werden-bei-der-bewaeltigung-der-tatfolgen-alleine-gelassen. Zugriff: 16.03.2024

[6] Interview mit Candan Özer. Online unter: https://www.meinwanderungsland.de/ich-moechte-dass-atilla-den-noetigen-respekt-als-opfer-des-nsu-nagelbombenanschlags-bekommt-ein-interview-mit-candan-oezer-ueber-den-kampf-der-angehoerigen/. Zugriff: 16.03.2024

[7] Schlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses III („NSU-Untersuchungsausschuss NRW“), Drucksache 16/7148, 27.03.2017, S. 411. Online unter: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD16-14400.pdf. Zugriff: 16.03.2024.

[8] Weitere Informationen unter: https://www.stadt-koeln.de/artikel/71428/index.html